Managerinnen und Manager auf Kuschelkurs

Zu viel Empathie auf der Chefetage ist Grund zur Sorge. Etwas mehr Selbstachtung täte Chefinnen und Chefs gut.

Ein Kommentar zum WiWo Artikel „Die Irrlehre vom Mitgefühl als Führungstugend”: Link zum Original

Endlich lese ich etwas Realistisches über die Liaison von Führung und Empathie. Der Artikel macht Schluss mit dem Anspruch, als Führungskraft weitgehend allein verantwortlich für das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter zu sein. Sich als Führungskraft stattdessen selbst zu achten, gut für sich zu sorgen, um in der Rolle zu bestehen, ist das notwendige Gegengewicht zur derzeitigen Überbetonung der Einfühlsamkeit.

Der Anspruch an die Chefetage dieser Tage lautet sinngemäß etwa so:

„Führungskräfte sollen führen, aber bitte mit Gefühl. Autorität zeigen, ohne autoritär zu sein. Innovation fordern und Tradition fördern. Nicht bloß exekutieren und delegieren, sondern diskutieren und inspirieren. Ziele definieren, Orientierung geben und Entscheidungen treffen, aber gleichzeitig die Selbstverwirklichung der Angestellten fördern. Möglichst so, dass alle morgens ausgeruht im Büro erscheinen und abends glücklich nach Hause gehen, wobei ihnen die Chefs bei alldem natürlich trotzdem sympathisch bleiben sollen.“

Nebenwirkungen

Dies hat gleich mehrere unerwünschte Nebenwirkungen aus meiner Sicht:

  • Die Tendenz, eigene Erwartungen hintan zu stellen. Es wird einer Chefin, einem Chef schwer fallen, eine Haltung zur eigenen Rolle zu finden; wenn diese dem Anspruch nach zuerst am Wohl der anderen orientiert ist. Im Artikel heißt es dazu: „Wer Entscheidungen vor allem danach ausrichtet, wer am wenigsten darunter leidet, paralysiert sich selbst.“ Stimmt.
  • Daraus entwickelt sich dann ungehemmt ein fröhlicher Bedürfnis – Reigen, der in der Denke der Mitarbeiter darin gipfelt, die Firma sei einem etwas schuldig. Man hat ja Leistung gebracht, da darf man doch von Chefin oder Chef etwas erwarten. Meine Sichtweise dazu: Die Firma ist einem nichts schuldig, so gar nicht.
  • Unangenehmes z.B. kritisches Feedback wird nicht oder nur verblümt angesprochen, aus Sorge davor, die Harmonie könnte leiden. Der Scheu vor dem Konflikt wird so regelmäßig Brennstoff zugeführt.
  • Die überhöhte Empathieanspruch erzeugt einen andauernden „double bind“ mit seinen Mitstreitern. Es wird gelobt, wo man eigentlich unzufrieden ist. Es wird nivelliert und bagatellisiert, wo man innerlich aufgebracht ist. Es fühlt sich für Mitarbeitende jedoch höchst irritierend und verwirrend an, wenn sie bemerken, dass das führende Element nicht so ganz aufrichtig ist. Die persönliche Standortbestimmung, die jeder Mensch regelmäßig betreibt und braucht, bleibt dann im Unklaren. Hier ein Beispiel eines Coachees aus dem echten Leben dazu, was Konflikt-Vermeidungskulturen in den Köpfen der Belegschaft anrichten können:

„Ich hab mich immer häufiger gefragt, bin ich noch gut? Mache ich das richtig? Und irgendwann dachte ich mir: wenn ich hier nie ein Feedback bekomme, dann muss ich wohl schon auf der Abschussliste stehen.“

  • Das Bedürfnis nach Orientierung in der Mannschaft bleibt unbefriedigt; und so muss jedes Teammitglied mühsam danach suchen, was in Entscheidungs- oder Konfliktsituationen das richtige Verhalten ist.
  • Entscheidungen die unpopulär sind, werden verschoben oder im Heimlichen getroffen und auch dort umgesetzt.
  • Entscheidungen werden zunehmend weniger nach Prinzipien der Wirtschaftlichkeit getroffen. Wo Konfliktscheu herrscht; da werden Lieferanten, Dienstleister lieber gewechselt als sie im Dialog auf Verbesserungspotenzial aufmerksam zu machen. Die Kosten für permanente Serviceproviderwechsel (Onboarding, Contracting, etc.) werden in Kauf genommen.
  • Mit der überempathischen Haltung machen Führungskräfte Mitarbeitende zu Hilflosen; so als könnten diese nicht selbst für sich sorgen. Empathische Helfertypen in der Führungsetage, das ist Brutale an der Empathie, brauchen die Hilflosen, die komplementäre Rolle, ansonsten erleben sie sich selbst irgendwo zwischen unbedeutsam und überflüssig.
  • Letzte Konsequenz dazu, als Frage formuliert: Kann ich als Führungskraft gleichzeitig einen unberechtigten Wunsch erfüllen und mich selbst davor schützen, ausgenutzt zu werden?
Das klingt nicht eben angenehm.

Mit der Überbetonung von Empathie tappen Führungskräfte in eine altbekannte Führungsfalle. Wer es allen recht machen will, nimmt sich selbst irgendwann nicht mehr ernst (nicht verwechseln mit „sich wichtig tun“). Wenn ich mich selbst nicht mehr ernst nehme, wie will ich dann noch entscheiden? Wie nähre ich dann meinen starken Willen, der mich in eine Führungsrolle gebracht hat. Wie bringe ich dann mein Geschäftsverständnis auf die Straße? Wie gebe ich dann ein gesundes Maß an Orientierung, das die anderen brauchen, um mir und den Geschäftszielen zu folgen?

Neulich fragte ich einen Geschäftsführer in der Medienbranche danach, wer in der Firma sagt, was richtig und falsch ist. – langes Schweigen und dann die Antwort: “Gute Frage!“

Zuviel Empathie geht auf Kosten von Verlässlichkeit. Verlässlichkeit aber ist eine der grundlegendsten zwischenmenschlichen Kategorien überhaupt, wenn es um Kooperation und gemeinsames Handeln geht.

Meine Erfahrung: Mitarbeiter lieben es, wenn sie sich an einem Leader orientieren können, jemanden der sowohl emotional (als Ausdruck eines starken Willens) als auch reflektiert handelt. Der mit seiner Schlüsselbotschaft nicht hinter dem Berg hält; die bittere Wahrheit ausspricht, seinen Willen verkündet (nicht aufzwingt). Er wird respektiert und er schafft Erleichterung für alle Beteiligten. Liegen die Fakten erst einmal auf den Tisch, dann kann auch wieder verhandelt werden. Vorher – im Unklaren – ist das nicht möglich.

Empathie an sich ist lebenswichtig, wir brauchen sie. Sie funktioniert nur nicht als sozialer Imperativ und schon gar nicht in ihrer Ausschließlichkeit.

Machen wir uns nichts vor; Führung braucht Empathie, bewusstes Ignorieren von unrealistischen Wünschen, Rückgrat, Klarheit und die Fähigkeit, Ablehnung ertragen können. Wer es anderen wirklich recht machen möchte, der bietet Orientierung an.

Das Leben und Überleben in Unternehmen ist tatsächlich nicht als Wunschkonzert konzipiert; allenfalls im Denksystem der New Work Elite (siehe dazu Gunnar Sohn: link)

Voll und ganz teile ich eine der Kernaussagen des WiWo Artikels:

 

Eine neue Nüchternheit täte allen Beteiligten gut.

 

Bild: Sabina Sakoh „Demokratia“ (Postkartenmotiv zur einer Vernissage 2015)

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