Online Coaching – Funktionalität schlägt Ritual

Business Coaching im Unternehmensumfeld findet heute in der Regel als Präsenzcoaching statt. Coach und Coachee sitzen einander gegenüber, sehen sich in die Augen und führen ein gutes Gespräch bis das Anliegen hinreichend geklärt ist. Der Coachee hat vorab drei Coaches zur Vorauswahl erhalten, die er durchtelefoniert hat. Beide haben also vor der ersten Präsenzsitzung

  • einander telefonisch oder persönlich bekannt gemacht,
  • die Modalitäten, das Contracting mit der Personalabteilung oder dem Controlling geklärt,
  • mühselig einen Termin für die erste Sitzung gefunden, ein bis zwei Terminverschiebungen inklusive.

So weit, so ritualisiert … und langatmig. Heute dauert es von der ersten Kontaktaufnahme bis zur ersten Coaching Sitzung etwa 3 – 8 Wochen, mitunter sogar länger, aus unterschiedlichen Gründen, und das ist deutlich zu lang.

Online Coaching als digitalisierte Variante ist demgegenüber die funktionalere Alternative.

Business Coaching ist eine hochindividualisierte, anlass- und situationsbezogene Beratungsleistung.  Wann also konsultiere ich als ranghohe Führungskraft einen Proficoach? Immer dann, wenn ich in einer schwierigen (Entscheidungs-) Situation eine andere Perspektive brauche, die mir weder Kollegen, noch Board Member oder andere meiner Stakeholder liefern können.

Sprich, ich brauche den Profi:

  • unmittelbar,
  • on demand,
  • barrierefrei,
  • von eher kurzer Dauer.

Das erwarten wir Marktteilnehmer im 21. Jahrhundert. So sind wir konditioniert, und das aus gutem Grund. Ein anderes Beispiel: Vom ersten Hören eines Songs im Radio über die Suche nach dem Songtitel bis zum Download @iTunes vergehen keine zwei Minuten mehr. Ich will den Song noch einmal hören – und ich will ihn jetzt.

Angesichts der eher langatmigen Vorbereitungen zum Präsenzcoaching stellen sich Coachees die Frage:

Warum soll ich lange in einer Entscheidungssituation verharren, wenn ich eine Lösung mit einem Profi zeitnah entwickeln könnte?

Die Frage ist mehr als verständlich. Wir reden von Führungskräften, die es gewohnt sind, Entscheidungen herbeizuführen anstatt sie auf die lange Bank zu schieben.

Der Hebel liegt dort, wo sich die Auffassung durchsetzt, ein hilfreiches Coaching könne sehr gut auch online, nämlich per Telefon, Skype oder weiterer Plattformen stattfinden. Dabei sollte ein vernünftiger Vorauswahlprozess des passenden Coaches gleichwohl erhalten bleiben. Meine These:

Coaching muss heute:

  • zeitnah (on demand),
  • leicht zugänglich (easy access) und
  • mit so wenig Aufwand (Reisen, Overtime) wie möglich

angeboten werden können.

Die Funktionalität des Online Coachings – wie bei vielen digitalisierten Dienstleistungen heute – ist bestechend. Hier einige Argumente:

  • Unmittelbarkeit / Klärung „on demand“: Der Coachee kann eine wichtige Frage mit sehr kurzer Vorlaufzeit klären oder eine „zweite Meinung“ einholen. Unnötige Verzögerungen durch langwierige Terminfindungen fallen weg.
  • Zugänglichkeit und Qualität: Ortsnähe ist kein Auswahlkriterium für Coaches mehr. „Best fit“ / Qualifikation des Coaches schlägt Ortsnähe. Der Coachee hat stattdessen Zugang zu spezialisierten Coaches über das Bundesgebiet, europa- oder weltweit verteilt, regionale Verfügbarkeiten von Coaches spielen keine Rolle mehr. Der Coachee kann das Coaching vom Home Office aus in Anspruch nehmen. Oder auf betrieblichen Reisen, überall dort wo telefoniert werden kann.
  • Weniger Aufwand: Reisezeiten fallen weg. Die gewonnene Zeit kann für die Arbeit im Betrieb genutzt werden. Online Coaching kann außerhalb der operativ dichten Tageszeiten im Alltag in Anspruch genommen werden. Coachee und Betrieb gewinnen dabei.
  • Kürze: Online Coaching kann in kürzere Zeitabschnitte unterteilt werden. Während Präsenzcoaching sich aufgrund des Reiseaufwands nicht unter drei Stunden lohnt, ist dies beim Online Coaching nicht zwingend notwendig.
  • Methodenvielfalt: Ein systemisch – lösungsorientierter Ansatz bietet sich an. Auch online können vielfältigste Methoden eingesetzt werden; Aufstellungen mit Stühlen etc.
  • Medien und Technik wie Teamviewer / skype etc. lassen auch den Austausch von Dokumenten / Skizzen / Grafiken zu. Durch Einsatz von Kameras kann der Coachee die Visualisierung des Coaches an der Flipchart z.B. mitverfolgen und hat visuelle Unterstützung.
  • Last not Least … Der Abrechnungsmodus: Online Coaching kann in fairer 30 min. Taktung abgerechnet werden. Sinnvoll, damit der Coachee zeitnah seinen nächsten Schritt machen kann. Manchmal fehlt nur ein Puzzlestück …

Noch ein Beispiel:

LinkedIn: Unter der Rubrik “Karriereberatung” wird heute zwischen einander Unbekannten schon fleißig und pro bono online gecoacht. Sicher, dies ist mit einem professionellen Coaching kaum zu vergleichen. Aber die Idee ist einfach gut.

Bei aller Faszination, die ich für die digitalisierte Form des Executive Coachings hege, bleibt jedoch die eine entscheidende Frage:

Wird der Kunde ein Online Coaching annehmen? Glaubt er daran, dass sich eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung online genauso entwickeln wird wie in der Präsenzsituation, in der man sich gegenübersitzt und in die Augen schaut?

Wann also schlägt Funktionalität das Ritual?

Hinterlasst bitte Eure Kommentare – auf die Meinungen der Community bin ich sehr gespannt!

 

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2 Gedanken zu „Online Coaching – Funktionalität schlägt Ritual

  1. Hallo Andreas,
    danke für die Auflistung der “Funktionalitäten”, die fassen es echt gut zusammen. Ich bin auch der Meinung, dass Online Coaching viel Potential hat.
    Wichtig ist nur, den richtigen Coach zu finden. Da sollte man auf einen guten Lebenslauf und Empfehlungen achten. Wer sich hinter seiner Online Tätigkeit “versteckt”, macht da eher keine gute Figur.
    Alles Gute, Timo

    1. Hi Timo,
      ja, ich denke, das ist die größte Hürde momentan. Wie sucht man sich den richtigen, passenden Coach für seine doch recht persönlichen Fragen? Das Coaching Geschäft ist von je her empfehlungs- und kontaktgetrieben. Und es bleibt die Frage, ob ein Erstkontakt zum Coach sinnvoll nur über das Netz gesucht werden kann. Im Corporate Bereich verläuft es ja so, dass Coachees sich einige schriftliche Profile ausgewählter Coaches ansehen und zu diesen dann Kontakt aufnehmen. Dem Empfehlungsteil und dem Bedarf nach Erstinformation wäre damit Genüge getan. In einem ersten Telefonat entsteht dann in der Regel ausreichend Klarheit darüber, ob man miteinander arbeiten möchte, ob die Chemie stimmt.
      Es ist aber wie schon immer. Fremdheit und Unbekanntheit wollen überwunden werden, eine menschliche Konstante bei jeder neuen Begegnung. Ob das im Erstkontakt rein “online” möglich ist, ist die große Frage.
      Ist jedoch eine Vertrauensbasis (-vorschuss) bei Coach und Coachee erreicht, ist online so ziemlich alles möglich.
      Ich danke für deinen Hinweis!
      Viele Grüße,
      Andreas

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